Musik 2: 600 - 1100 bzw. 1000 oder 1130: Gregorianik
ric 19.10.2010
1 Zur Eigenart der Epoche
Es gibt aus dieser Epoche sehr schöne Kirchenbauten, doch schließen sie sich eher der frühchristlichen Antike an, sind im Vergleich zu den Bauten der folgenden Epoche wenig eigenständig.
Der geistig Bedeutendste – auch im Sinne der Fortentwicklung des Erbes von Aristoteles und Plotin – war wohl der Perser Ibn Sina = Avicenna, gest.1037, der wegen seines großen Einflusses auf die europäische Wissenschaft auch als Einleiter der folgenden Epoche angesehen werden kann. Vorstellbar ist aber auch, dass die Muse bzw. der Heilige Geist von Europa floh und sich im Südosten niederließ.
Zum Wesen der Gregorianik: siehe auch 1.2. - Augustin hat sich beklagt, er werde durch die Musik von den gesungenen heiligen Texten abgelenkt und habe sich insofern zur Sünde verleiten lassen. Nachdem ich die Ambrosianischen Gesänge gehört habe, kann ich ihn sehr gut verstehen, glaube aber, dass die Kirche vor allem als Förderin der Kunst anerkennenswert ist.
Mit der Regelung durch Gregor scheint erreicht zu sein, dass die Menschen insofern nun nicht mehr in Versuchung geführt wurden: Die Musik ist in der Regel schön, aber nicht so schön, dass die Menschen durch sie von den gesungenen Texten abgelenkt werden - also in der Regel nur mäßig schön. Es gibt aber auch in der Gregorianik sehr schöne Stellen. Nur ist sie für Menschen, die an einer Andacht teilnehmen, nicht für Konzertbesucher. Sie dient weitgehend oder sogar überwiegend dem Vortrag von Texten.
Exkurs: Absolute Musik. Ich liebe aber absolute Musik, d.h. solche, die nur um der musikalischen Schönheit willen komponiert wurde. Solche Musik sind z.B. die von den „Anonymous four“ aus dem Codex Montpellier ausgewählten Stücke (siehe folgende Epoche) oder Mozarts „Cosi“, bei der der Text belanglos ist und wohl nur geschrieben wurde, um dem Komponieren zu dienen. In der Epoche von 1000 bis 1300 verkörpert sich dieser Absolutheitsgedanke auch insofern, als die Texte der verschiedenen Stimmen oft nichts miteinander zu tun haben, wohl nur ausgewählt wurden , weil sie sich gut singen lassen.
Ich verkenne nicht, dass es wunderbare Werke gibt, bei denen das Religiöse zu höchsten musikalischen Leistungen inspirierte. Aber man kann sie dann immer auch als absolute Musik hören: Auch ein nicht-Religiöser wird Freude an allen Werken von J.S. Bach haben.
2 Die Musik
****Wer mag, kann sich zu Weihnachten, Ostern, Pfingsten und den Marienfesten die jeweiligen Stücke anhören ("Die gregorianischen Gesänge", 4 CDs, MPS, Zweitausendeins).
Hiervon habe ich nur CD 4, 1-7, gehört. Die Stücke sind schön, teils sehr schön, aber es wurde mir dann doch etwas lang, da die Stücke nicht als Konzertfolge komponiert sind, sondern als Teile verschiedener Andachten.
Wesentlich ist immer der Widerhall der Töne (besonders wohl der Obertöne) im Kirchengebäude - die Steine singen mit. Das fiel mir besonders bei den beiden **CDs "Canto Gregoriano", Membran Music, auf. Die Musik ist einstimmig, sehr schön, von Männern sehr schön und kompetent gesungen.
*Auf der CD "Officium Beatae Mariae Virginis" kann man hören, was wohl in Hamburg gesungen wurde, aber wohl nicht von dort stammt. Quellen sind die in Hamburg aufbewahrten Codices Theol.1069 und Catharinen 9. Die Musik ist schön, teils sehr schön, aber auch etwas monoton (siehe oben). Diese CD lässt sich auch für kurze Morgen- und Abendandachten verwenden.
Die *CD mit dem treffenden Titel "Le Règne du Chant Grégorien", harmonia mundi, enthält «Un immmense corpus» (was wohl eine Klage der Musikwissenschaftler über die vielen gregorianischen Gesänge ausdrückt, die sich kaum einordnen lassen), nämlich eine missa da requiem grégorienne (sehr schön, kunstvoller als andere Gregorianik, einstimmig) und den Planctus des Abtes Hugo (einzelne Ansätze zur Vielstimmigkeit). Es handelt sich um Auszüge aus 2CDs «Chant grégorien», Deller Consort, die ich mir jedoch nicht anschaffen will.
*Gregorianischer Choral – Die Klangwelt der Klöster, Archiv-Produktion, ist auch insofern anders als die andern CDs, also vor Ort aufgenommen wurde, was dort, keineswegs für eine CD-aufnahme bestimmt, gesungen wurde. Die Gesänge zur Kirchweihe von Fontgombault haben wegen der Begleitung eine gewisse Mehrstimmigkeit und sind sehr schön. Die Weihnachtsmusik der Abtei von Montserrat weicht von der üblichen Gregorianik ab, insofern sie schöner, einfallsreicher und dramatischer ist, doch ist sie nicht ausgeprägt polyphon.
*“Die Zeit der Templer, CD2, Die Musik der Kirche“. Naxos. Hier handelt es sich um eine andere CD von Naxos, nur mit neuem, albernem und über das Stück nichts sagendem outfit, nämlich „Adorate Deum, Gregorian Chant from the Proper of the Mass.“ Das Stück ist einstimmig, nicht besonders einfallsreich, hat aber schöne Stellen und drückt das Friedvolle und Harmonische der Gregorianik aus. Aus der Zeit der Templer gibt es aber wahrlich Stücke, die einfallsreicher und für diese Zeit charakteristischer sind.