Publizistik
24.2.2010. Das deutsche Rechtswesen sieht für ein bestimmtes Vergehen eine Strafe bestimmter Höhe vor. Diese Strafe sollte auch vollstreckt werden. Aber mehr an Bestrafung, an Schädigung, an Rufschädigung usw. sollte es auch nicht sein.
Eine Person wurde mit zuviel Promille-Blutalkohol am Steuer einer Verbrennungsmaschine erwischt. Ihre Strafe wird ein Monatsgehalt und Führerscheinentzug für eine nicht allzu lange Zeit sein.
Wenn ich von der Münsterschen Zeitung auf andere Zeitungen schließen kann, so erscheint die erwischte Person mit ihrer Straftat und Bild nun in den Schlagzeilen der deutschen Zeitungen. Sie wird an den Pranger gestellt. Das ist eine Strafe, eine Schädigung, die hundertmal größer ist als die Strafe, die das Gericht über sie verhängen wird.
Was geht die Sache die Öffentlichkeit überhaupt an? Es wäre angemessen gewesen, im Lokalteil der örtlichen Zeitungen zu vermerken, dass eine hochgestellte Person mit zuviel Alkohol am Steuer von der Polizei gefasst wurde und der Staatsanwaltschaft zugeführt werden wird. Dann weiß jeder, dass es auch für hochgestellte Persönlichkeiten gefährlich ist, mit zuviel Blutalkohol ein Auto zu steuern. Alles, was darüber hinausgeht, ist eine üble und unnötige Schädigung des Straftäters.
Im Grundgesetz sollte für einen besseren Schutz des Privatbereiches im weiteren Sinne - einschließlich des Fahrens mit zuviel Alkohol - gesorgt werden, auch von bekannten Personen, auf deren Privatleben die Öffentlichkeit besonders neugierig ist.
Zeitungen nehmen in ihrer Gier nach wirksamen Schlagzeilen keine Rücksicht, kennen kein Erbarmen, keine Gnade.
Mein ganz, ganz schwarzer Verdacht ist, dass die Rüstungsindustrie dahinter steht, die sich von der Straftäterin, einer beliebten, sehr klare Worte findenden Kirchenfunktionärin, bedroht fühlt. Es gibt da wohl so Netzwerke. Angesichts des Super-Verbrechers Schreiber ist so ziemlich alles möglich. Aber ich will auch nicht paranoid werden.
Anderes kann allerdings nicht genug publiziert werden, z.B.der Missbrauch von Kindern, der dazu geführt hat, dass Kinder von ihren Eltern bestraft wurden, weil sie so "hässliche Geschichten" über "Hochwürden" erzählten. Hier kann die Bevölkerung nicht genug darüber aufgeklärt werden, dass so etwas durchaus möglich ist. Aber es besteht doch wahrlich kein Bedarf daran, die Bevölkerung wissen zu lassen, dass auch eine Bischöfin sich schon mal mit der Alkoholmenge verschätzen kann. Der Staatsanwalt wird schon nicht zum Polizisten sagen: "Erzähl doch nicht so üble Geschichten über unsere Bischöfin!"
Zufällig bekam ich gerade eine Werbe-Antwortkarte in die Hand, zusammen mit der Werbung für eine Haarspray-Veranstaltung, mit dem Text: "Ja, ich bestelle die Münstersche Zeitung für mindestens 24 Monate ab Lieferbeginn ..." Ich strich alles nach "ab" durch, machte ein Kreuzchen, trug meinen Namen und einen Verweis auf diesen Text ein und klebte eine Briefmarke drauf.
Die Bischöfin war diesmal leider kein gutes Vorbild, aber ich, der ich mich nun auf den Weg zum Briefkasten machen werde, verstehe mich in dieser Hinsicht durchaus als Vorbild.
24.2.2010. Offenbar war es dreierlei, was in Deutschland die Bischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche zum Rücktritt bewegte. Das erste, der Blut-alkohol beim Autofahren, darf nicht bagatellisiert werden. Es war eine vermeidbare Gefährdung von Menschen und ihrem Leben. Aber es wäre auch möglich gewesen, dass kaum jemand etwas davon erfahren hätte. Das Gerichts-verfahren hätte ohne einen mündlichen Termin schriftlich abgewickelt werden können. Und das Untrecht, das sie beging? Auch wenn es so häufig ausgeübt wird, dass man es fast als gewöhnlich bezeichnen muss, ist es schwer genug, aber doch nicht so schwer, dass eine Person, die ihr kirchliches Amt hervorragend ausübt und wegen ihrer persönlichen Ausstrahlung auch kaum ersetzbar ist, ihr Amt deswegen nicht mehr ausüben dürfte. Muss die Weste einer solchen Amtsträgerin so weiß sein, dass sie nicht einmal Fleckenreste von bestraften Vergehen haben darf? Was ist wichtiger, die weiße Weste oder die Kompetenz?
Mir scheint, dass die Straftat gegen die Bischöfin instrumentalisiert wurde.
So ist also die Straftat unter den drei Gründen im Vergleich zu den andern beiden wenig gewichtig. Schwerwiegend ist aber die oft "harsche" Kritik, die seit der Übernahme ihrer Spitzenämter aus vielen Richtungen aus vielen "Gründen" auf sie einhagelte. Hinzu kam nun, dass sie von den deutschen Zeitungen an den Pranger gestellt wurde. Ob sie wohl mit Adenauer, Brandt, Schmidt, Kohl das Geiche getan hätten, wenn sie sich das Gleiche hätten zuschulden kommen lassen? Ich glaube, dass irgendein Instinkt den Zeitungs-managern sagte: "Über die können wir herfallen." Sie strahlt nicht das aus, was bullige Typen wie Franz Josef Straß ausstrahlten, sondern ein hohes Maß an Sensibilität und damit auch Verletzlichkeit.
Alles zusammen wird für sie so belastend sein, dass es ihr zu schwer wurde, sich in einer kirchlichen Spitzenpositionen zu halten. Auch musste sie damit rechnen, dass ihr Ansehen leiden würde, dass ihren Worten also nicht mehr die ihnen zugemessene Bedeutung beigemessen wurde.
Ihr gönne ich die Entlastung. Aber das Ganze ist eine Tragödie mit dem Titel "Wie eine mit allen Vorzügen ausgestattte und zur Übernahme hoher Ämter besoders befähigte Frau sich in Deutschland nicht an der Spitze der Evangelischen Kirche halten kann." Oder auch: Deutschland, ein Wintermärchen, wie gehabt.